windrad

18. Juni 2021

"Wunder müssen gemacht werden"

Am Mittwoch, dem 16. Juni 2021 fand ein Pressegespräch mit unserem Vorstandsvorsitzenden, Dr. Karl-Ulrich Köhler statt, in dem er nach einem halben Jahr im Amt eine erste Bilanz zog und neue Perspektiven für die Transformation der saarländischen Stahlindustrie aufzeigte. Die beiden Artikel aus der FAZ fassen die Herausforderungen und Situation der Stahlindustrie im Saarland punktgenau zusammen – daher haben wir uns mit Genehmigung der FAZ dazu entschieden, sie interessierten Leserinnen und Lesern auf unserer Website zur Verfügung zu stellen.

F.A.Z., 18.06.2021, Unternehmen (Wirtschaft), Seite 24 – Ausgabe D1, D2, D3N, R0, R1 – 617 Wörter

„Wunder müssen gemacht werden“

Für den Umbau der Stahlindustrie fehlt es an grünem Strom, Wasserstoff und Schrott.

Von Bernd Freytag, Mainz

Dem Stahlmanager Karl-Ulrich Köhler ist der Kragen geplatzt. Die grüne Transformation der Industrie sei ein politisch und gesellschaftlich formulierter Wunsch in Europa, sagt er. „Wir alle haben verstanden und akzeptiert, dass die Ziele scharf sind.“ Vor der Bundestagswahl aber drohe ein politischer Wettbewerb um immer schärfere Ziele zu entbrennen. Auf dieser Basis könne die Stahlindustrie aber nicht planen, und das gewaltige Jahrhundertprojekt der Transformation drohe zu scheitern.

„Wir brauchen zuverlässige, reale und vor allem eintreffende Rahmenbedingungen.“ Wenn das nicht gelinge, sei die Industrie in ihrem Bestand gefährdet. Seit Jahresanfang führt der Fünfundsechzigjährige Saarstahl und Dillinger Hütte in Personalunion und leitet zudem als Geschäftsführer die übergeordnete Stahl-Holding-Saar. Mit ihren 13 000 Beschäftigten sind beide Unternehmen noch immer der größte Industriearbeitgeber des Landes. Der erfahrene Köhler – einst Vorstandschef von Thyssenkrupp Steel – wurde nach dem Rücktritt seines glücklosen Vorgängers geholt, um die Transformation der saarländischen Stahlindustrie zu stemmen.

In der bestehenden Produktionsstruktur seien weitere Möglichkeiten der Treibhausgasreduktion begrenzt, sagte er bei seiner Zwischenbilanz nach hundert Tagen. Bis 2030 müsse die Industrie ihre Emissionen im Vergleich zu 2010 um 40 Prozent senken, schon das sei eine Herausforderung. Parallel müssten die Unternehmen erheblich investieren, um die Produktion auf grünen Strom und grünen Wasserstoff umzustellen. Es sei aber heute überhaupt nicht zu erkennen, woher der bei Produktion von Elektrostahl nötige Schrott kommen soll, noch die enormen Mengen an Strom aus erneuerbaren Quellen. Saarstahl benötigt nach Köhlers Worten mehr als 100 000 Kubikmeter Wasserstoff je Stunde. Mit Strom aus einem „Onshore Windtürmchen“ könne man gerade mal einige zehn Kubikmeter herstellen, sagte er in Anspielung auf die Windradpläne des Konkurrenten Salzgitter.

Wenn genügend grüner Wasserstoff vorhanden wäre, könnten Saarstahl und Dillinger Hütte schon heute mehr Wasserstoff in die Produktion „einblasen“. Die Vorhersagen der Bundesregierung für den Bedarf an grünem Strom hält Köhler wie viele Fachleute für deutlich zu niedrig. Er geht vielmehr davon aus, dass die Umstellung auf eine grüne Produktion wegen der fehlenden Ressourcen dauern wird. Alle Beteiligten müssten sich deshalb auf Kompromisse einstellen, sagte er. „Wunder passieren nicht, Wunder müssen gemacht werden.“ Grünen Strom kurzerhand selbst zu produzieren, wie es etwa der Konkurrent Salzgitter oder der Chemiekonzern BASF planen, lehnt Köhler als Irrweg ab: für ihn sei das ein „Rückfall in Autarkiebestrebungen“; wie sie zurzeit vielfach zu beobachten seien. Dabei seien doch gerade Mangelwirtschaften gekennzeichnet durch eine schlechte Arbeitsteilung. Der Rückfall in eine nicht arbeitsteilige Welt führe in die Sackgasse. Für Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), ein Mann aus dem Saarland, findet Köhler Lob.

Das Wirtschaftsministerium habe es geschafft, Stahl auf die politische Bühne zu heben, sagte er. Das kürzlich bewilligte Investitionsbudget sei zwar „mächtig“, aber noch immer nicht ausreichend. Die Bundesregierung hatte Ende Mai 8 Milliarden Euro an Steuergeld für Investitionen in die Wasserstoffwirtschaft bereitgestellt. Davon sind 2 Milliarden Euro für die Stahlindustrie bestimmt. Nach Köhlers Worten kostet der Umbau allein bei Saarstahl und Dillinger Hütte aber bis zu 4 Milliarden Euro. Kostenneutral werde das nicht zu machen sein, der Stahl werde in jedem Fall teurer. Um in der Transformationsphase dennoch einen Absatzmarkt zu schaffen, fordert er wie viele in der Branche einen „grünen Leitmarkt“. Hinter der Idee steckt nichts anderes als der Ruf nach weiteren Staatshilfen. So könnten Stahlkunden, etwa die Autobauer, eine Quote für „grünen Stahl“ erfüllen müssen. Die Zusatzkosten, so das Kalkül, könnten dann zeitweise vom Staat übernommen werden. Auch das Problem der „Billigimporte“ sei nicht gelöst. „Wir brauchen faire Rahmenbedingungen, damit wir nicht von Importen aus Ländern mit völlig andern Umweltauflagen überschwemmt werden.“ Das Tagesgeschäft läuft nach Köhlers Worten wieder deutlich besser, sodass die Gruppe Zeit „und eine Atempause“ bekomme, um den Umbau anzugehen. Die beiden Konzerne, die im Vorjahr einen Betriebsverlust von 364 Millionen Euro hinnehmen mussten, erwarteten nach seinen Worten unterm Strich wieder Gewinn.

©„Wunder müssen gemacht werden“ (F.A.Z. vom 18.06.2021 von Bernd Freytag). Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv